Liebes Forum,
ich habe einen schweren Fehler begangen, der mich noch teuer zu stehen kommen könnte! ;)
Nachdem mich schon seit gefühlten Ewigkeiten die Lotus Super Seven-Derivate faszinieren und ich zumindest dreimal kurz in einem Donkervoort auf dem Beifahrersitz mitfahren durfte, habe ich es jetzt endlich mal getan und selbst einen Caterham gefahren.
Ich war mir vorher überhaupt nicht klar darüber, ob ich davon völlig begeistert oder völlig abgeschreckt sein würde. Vermutlich gibt es zwischen diesen beiden Extremen auch nicht viel.
Es war ein älterer Caterham S3 mit getuntem Rover Series-K-Motor, optionalem Sperrdifferenzial, optionalem Caterham-6-Gang-Getriebe, den serienmäßigen Stoffsitzen mit 4-Punkt-Guten, FIA-Überrollbügel, normalen Straßenreifen und Serienfahrwerk.
Kurzes Fazit:
Ich bin absolut sprachlos und überwältigt!! Etwas derartig Durchgeknalltes und Geiles habe ich noch NIE vorher in meinem ganzen Leben gefahren!!!
Mein kleiner BMW E36 323ti ist ein Auto, ein BMW M3 E92 ist ein anderes Auto, eine Lotus Elise ist wieder ein anderes Auto. Der Caterham dagegen ist nicht einfach ein anderes Auto, nein, diese Kiste stammt wohl von einem anderen Stern!
Der ganze Wagen ist geradezu lächerlich leicht und winzig klein: 560 kg leer, nur 3,38 m lang und 1,58 m breit, dabei aber nur lächerliche 1,12 m hoch (und zwar ganz oben am hohen Überrollbügel), wodurch er optisch gar nicht klein wirkt, sondern einfach verdammt flach und geradezu breit.
Keine Servolenkung, kein ABS, keine Traktionskontrolle, kein ESP, kein Bremskraftverstärker. Nichts! Gar nichts! Genuss pur ohne Filter! Etwa 145 PS standen im Wagen bereit, um mit mir und den 560 kg spielen zu gehen!
Man schiebt die Beine vorbei am Lenkrad in den engen Tunnel vor sich und rutscht "saugend" zwischen Außenwand links und Mitteltunnel rechts in den Sitz, mit dem Popo knapp über dem Asphalt. Mit 4-Punkt-Gurten nagelt man sich fest. Dann liegt man in dieser kleine Sitznische mit kleinen, dicht beieinander liegenden Pedalen ganz am Ende des Tunnels, ein winziges Lenkrad vor sich, einen Stummel von Schaltknüppel daneben. Achtung, geeignete Schuhe sind wegen des geringen Pedalabstandes extrem wichtig, damit man nicht versehentlich zwei Pedale gleichzeitig tritt. Vor der Fahrt austesten! Ich muss z.B. meinen etwas zu breiten rechten Schuh schräg auf das Gaspedal stellen, um nicht die Bremse auch zu treten (was aber gut funktionierte).
Motor anlassen, wobei der Sportauspuff keinen Zweifel aufkommen lässt, dass es hier ernst zur Sache geht. Der Serientopf ist angeblich leiser, aber die meisten rüsten wohl schnell um, denn dieser herbe Sound passt hervorragend zu diesem "Rennwagen mit Strassenzulassung". Die Kupplung kommt hart auf kürzestem Weg, so das ich den Motor erstmal erfolgreich abwürge. Wer jetzt schon begeistert "Sport" rufen will, der warte erstmal, was gleich beim Fahren abgeht!
Ich fahre ganz langsam durch den Ort: Das ist ja völlig krass! Die Lenkung braucht Kraft, ist aber abartig direkt! Kleinste Lenkbewegungen werden sofort umgesetzt. Ich hatte in jede Richtung ca. eine Dreiviertel Umdrehung zur Verfügung. Damit läuft der Wagen superagil und sehr nervös über die Strasse, will ständig mit fester Hand geführt werden. Das ist aber gar nicht nervend, sondern schafft ein unglaublich intensives Fahrgefühl. Selbst beim lockeren Mitschwimmen im städtischen Verkehr ist das schon derart beeindruckend, dass ich beschwöre, niemals etwas Vergleichbares gefahren zu sein. (Eine Lotus Elise Mk. I ist daneben ein ganz braves Großserienauto!) Der winzige Schaltstummel erfordert ebenfalls eine klar führende Hand. Die Hand reicht auch, denn eigentlich schaltet man hier nur aus dem Handgelenk. Die gefühlte Beschleunigung ist einfach nur beeindruckend, während beim Ausdrehen des Motors unten links neben mir durch die Sidepipe die Trompeten von Jericho zum Mauereinsturz blasen. So rast man liegend über die Strasse, auf Augenhöhe mit den Türgriffen anderer Autos. Bei vielen der modernen Autos muss man bereits zum Türgriff aufschauen. Dass man unter SUVs hindurchfahren könne, das soll aber doch ein Gerücht sein! ;)
Überhaupt, andere Autos sind eher so eine Art bewegliche Pylonen, die geschickt umkurvt werden wollen. Die geringe Breite und das gute Leistungsgewicht machen den Wagen dabei zum optimalen Tool für das Überholen auch auf kleinsten Strassen.
Mit "Türen" (echte Türen gibt es nicht) ist der Fahrtwind ordentlich, ohne "Türen" muss sofort Orkanwarnung ausgegeben werden. Und es gibt immer ein paar mechanische Geräusche - wie in einem Rennwagen.
Der niedrige Schwerpunkt und das geringe Gewicht sind ständig spürbar. Ich habe das Ding über kleine Landstrassen jeglicher Couleur gescheucht. Eine kleine Paßstrasse lässt mich nur absolut sprachlos stehen. Völlig abartig, wozu dieses Geschoß hier in der Lage ist!
Mit was will man dieses "Auto" nur vergleichen? Am besten treffen es wohl "strassentauglicher Formel-Rennwagen" oder "Motorrad mit vier Rädern", vielleicht auch "vollverkleidetes Go-Kart mit zwei Sitzen".
Zweifel komme aber in mir auf. Die gefühlte Beschleunigung ist super. Aber wenn ich so auf den Tacho gucke, dann will die Anzeige nicht so recht zur gefühlten Geschwindigkeit passen. Gut, ein Super Seven schafft ein wahnsinnig intensives Fahrerlebnis. Aber ist der Wagen vielleicht nur ein Blender, der sich schnell anfühlt, aber sehr langsam ist? Würde ich hier mit meinem BMW nicht schneller fahren, frage ich mich beim Blick auf den Tacho. Die Querbeschleunigung spricht klar dagegen. Aber der Tachowert ist wirklich nicht gerade beeindrucken. Gut, die anderen sind heute alle sehr, sehr langsam unterwegs. Vielleicht das schöne Wetter? Ich überschlage, dass der Wagen ja schon bei ca. 120 seine Nennleistung erreichen müsste. Sehr merkwürdig, ob der eine extrem kurze Achsübersetzung hat? Ich bin ernsthaft irritiert. Schliesslich komme ich zurück, völlig berauscht, aber mit dem Verdacht, dass der Tacho vielleicht falsch geht.
Als ich vorsichtig meine Vermutung vortrage - man will sich ja als Neuling nicht gleich lächerlich machen - bekomme ich zur Antwort: "Nein, der geht schon richtig. Er zeigt halt Meilen pro Stunde an." Mir klappt der Unterkiefer runter und es fällt mir wie Schuppen von den Augen! Mir platz raus: "Oh, da war ich aber gerade recht schnell unterwegs!" Jetzt wird mir so einiges klar! Und ich bin umso beeindruckter von dieser Boden-Boden-Rakete. Ich krieg mich gar nicht wieder ein, so amüsiert mich mein Irrtum.
Dann folgt noch eine zweite Ausfahrt, diesmal natürlich mit Wissen um den Meilen-Tacho. :)
Die eigentlich eher primitive DeDion-Achse, auf die ich früher immer etwas verächtlich herabgeschaut habe, macht ihre Sache auch auf Bodenwellen und Absätzen ganz hervorragend. Das DeDion-Rohr hatte ich auch mal selbst in der Hand, es ist ganz leicht. Keinerlei Vergleich zu einer fetten Starrachse! Das Fahrwerk ist nicht übertrieben hart, so dass der Wagen hier nicht den Grip verliert. Die Traktion ist trotz eher einfacher, kleiner Strassenreifen (Yokohama A539) im Format 185/60-13 und dem Leistungsgewicht von heftigen 4,35 kg/PS (Gewicht mit Fahrer) extrem gut. Wer will, der bekommt aber auch Sportreifen mit minimalem Negativanteil im Profil. Während ich diese Sportreifen vorher für ein möglicherweise wirklich notwendiges Extra gehalten hatte, so muss ich jetzt sagen, dass die hier montierten Strassenreifen bereits für eine abartige Fahrdynamik und ein Fahrgefühl weit jenseits alles mir bisher bekannten gut sind.
Ein wegrutschendes Heck in einer Kurve der Paßstrasse lässt sich spielerisch einfangen: Weil man fast auf der Hinterachse sitzt spürt man extrem gut, was das Heck tut und die extrem direkte Lenkung und die Sperre machen das Einfangen spielend leicht. Dabei lässt die geringe Breite des Caterham S3 viel Platz, um mit dem Wagen auf der Strasse zu "arbeiten". Untersteuern scheint der Wagen gar nicht zu kennen, er bleibt immer sehr neutral. (Sicherlich wird auch ein Caterham irgendwann untersteuern, wenn man ihn völlig unsensibel überfährt). Die Bremse ohne Bremskraftverstärker und ABS ist ganz problemlos, sie geht längst nicht so schwer wie befürchtet und ist gut dosierbar. Auch das Zurückschalten mit Zwischengas während des Anbremsens mittels der Hacke-Spitze-Technik klappt bald gut.
Völlig schräge wird es, als ich wieder in meinen BMW umsteige: Man sitzt extrem aufrecht, mir kommen Assoziationen wie "LKW" oder "Barhocker". Ich schaffe (kein Witz!!) das Anfahren nicht, weil ich den Schleifpunkt der Kupplung viel zu früh suche. Ich überlege ernsthaft, ob am Antriebstrang meines BMWs etwas kaputt ist! Erst beim dritten Versuch setzt der BMW sich in Bewegung!
Ich drehe nun an einem riesigen, extrem leichtgängigen Lenkrad, aber dabei reagiert das Auto fast gar nicht! Beinah so, als ob es keine Verbindung zu den Vorderrädern hätte. Und das in meinem sehr agilen, kleinen BMW, dessen Servounterstützung ja viel geringer ist als bei modernen BMWs! Alles ist im BMW sehr viel "weicher" beim Fahren, mehr Rollneigung. Wie kann man damit nur schnell fahren???
Am nächsten Tag gibt es noch eine sehr lange Ausfahrt. Ich fahre und fahre und fahre. Mittagessen fällt aus, ich will einfach immer nur fahren. Ein weiteres kleines Paßsträßchen wird bearbeitet. Wie man sich dabei mit diesem Auto durch die Wechselkurven katapultieren kann, das macht einfach nur sprachlos! Dann größere, weit geschwungene Landstrasse, dann wieder winzigste Nebenstrassen, die gerade mal genug Breite für ein einzelnes Auto bieten. Alles was ich vorfinde nehme ich unter die Räder. Und überall beeindruckt dieses Teil einfach nur. Die Autobahn lasse ich natürlich aus, denn dieses "Fahr-Zeug" ist für Landstrassen gebaut.
Obwohl ich nicht darauf achte, wie andere auf den Wagen reagieren (weil ich einfach nur fahren will und mir die Meinung anderer eigentlich egal ist) so bemerke ich doch mehrfach, dass sich niemand auf den Schwanz getreten zu fühlen scheint, wenn er z.B. überholt wurde. Kinder zeige mit dem Finger auf das Auto. Ein an der Paßstrasse überholter Wagen hält hinter mir auf dem Parkplatz (wo ich kurz für einen Blick in die Karte stoppe) und der Fahrer wartet und will einfach zugucken, wenn ich wieder losfahre. Anders als bei einem Nobelsportwagen entsteht hier anscheinend keinerlei Sozialneid, sondern eher Neugier, Sympathie und Begeisterung bei den Mitmenschen.
Nach nüchternen Kriterien für normale Autos getestet wäre dieser Wagen natürlich eine Katastrophe. Das Armaturenbrett ist wirklich ein Brett, bestückt mit einer wilden Resteverwertung. Als Blinker gibt es nur einen kleinen Kippschalter im Amaturenbrett, der von Hand zurückgestellt werden will - was ich aber ständig vergesse. Das Ein- und Aussteigen ist doch etwas mühsam. Ohne Dach. Denn mit Dach ist Akrobatik und eine spezielle Origami-Falttechnik für den Fahrer gefragt (was man aber recht schnell beherrscht).
Weiteres Umdrehen des Kopfs verhindern die fest angezogenen 4-Punkt-Gurte. Die Spiegel sind nicht optimal. Bei mir ist im Rückspiegel das Kreuz des FIA-Überrollbügels im Weg (der Serienbügel dürfte das Problem nicht haben), der Außenspiegel verstellt sich auch mal (es gibt aber auch anderen Außenspiegel). Die lange Nase macht das Abbiegen an unübersichtlichen Ecken etwas schwerer. Die Dosierung der harten Kupplung braucht Feingefühl und das Rangieren erfordert ohne Servolenkung mit dem Mini-Lenkrädchen und der direkten Lenkübersetzung ganz ordentlich Kraft. Der rechte Fuß muss aus Platzgründen ständig auf dem Kupplungspedal stehen. Das optionale, eng gestufte 6-Gang-Getriebe braucht etwas Kraft beim Schalten mit dem winzigen Stummel und hat extrem kurze Wege, ist auch nicht immer perfekt geräuschfrei und man muss aufpassen, sich nicht in den eng beieinander liegenden Schaltgasse zu verirren. Das Auto ist laut. Ein Radio gibt es natürlich nicht - aber dieser Wagen ist der erste, in dem ich ganz bestimmt keine Musik brauche. Die liefert der Wagen nämlich reichlich in Form von echtem Rennsound, während er die übrigen Sinne restlos benebelt mit purem Fahrerlebnis. Als Dach gibt es nur ein "Zelt", das eher etwas für Notfälle ist. Abschliessen kann man den Wagen nicht, auch nicht den winzigen Kofferraum, es gibt ja nicht mal richtige Türen. Der Mitteltunnel strahlt etwas Wärme nach innen ab, was aber beim offenen Fahren nicht stört. Die Bodenfreiheit ist sehr gering, also Vorsicht bei allem, was zu weit aus dem ebenen Asphalt hochsteht. Denn hier bleibt kein Spoiler hängen, sondern die Ölwanne! Die Sperre macht bei Lastwechseln laute Schläge und auch sonst hört man die Technik immer wieder mal.
Ist das schlimm? Nein, egal. Völlig egal! Dieses Geschoß überschwemmt einen mit so viel Emotion, dass mich kein einziger dieser Punkte ernsthaft stört.
Langstreckentauglich? Ich bin an diesem Tag ca. 320 km in ca. 6 Stunden gefahren. Nur über kleine Landstrassen in fast immer sportlicher Fortbewegungsart. Fast ohne Pause. Zweimal tanke ich, einmal montiere ich das "Halbdach", fahre damit ein Stück und hole es dann wieder runter. Sonst fahren, fahren, fahren! Ja, so gesehen ist er überraschend langstreckentauglich (auch wenn ich mir damit ganz sicher keine 500 km Autobahn antun würde, das wäre zu langweilig, dafür gibt es bequeme Reiselimousinen).
Horst von Saurma hatte 1997 in "Sport Auto" mal über den Caterham geschrieben:
"
Niemand, der sich nicht die Mühe macht, in das viel zu enge Ambiente dieses minimalistischen Roadsters hineinzukriechen, wird nachvollziehen können, was Fahrdynamik wirklich bedeutet."
Es ist einer dieser Sätze, die man über die Jahre immer wieder mal mit Respekt und Anerkennung für dieses Auto liest. Aber erst seit meiner eigenen Ausfahrt im Caterham weiß ich wirklich, was er bedeutet!
Caterham - einfach nur geil!
So, jetzt brauche ich entweder Nachschub an Drogen - oder eine Entziehungskur!
Grüße
ChrisH
Bearbeitet von: ChrisH am 13.10.2012 um 23:10:16