Zitat:
Was hat denn bitte ein Gewindefahrwerk mit einer Prollkiste zu tun?
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(Zitat von: Fresh Prinz)
Natürlich ist ein Gewinde-Fahrwerk keinesfalls zwingend etwas für "Prollkisten" - wenn ich diesen provozierenden Ausdruck mal aufgreifen darf.
Leider ist es in "gewissen Kreisen" aber absolut üblich, das Fahrwerk des Autos ausschliesslich noch optischen Gesichtspunkten auszuwählen. Die Frage, ob die Kiste hinterher eigentlich noch fahrbar ist steht nie zur Debatte. Ich muss sagen, dass ich in manchen Fällen in der Tat schockiert bin, mit welchem Unwissen da wild an sicherheitsrelevanten Teilen wie dem Fahrwerk herumgebastelt wird.
Bevor man Hand an sein Fahrwerk legt, sollte man sich zumindest über eine paar Punkte im Klaren sein:
- Ein Gewindefahrwerk MUSS von der Härte her so ausgelegt sein, dass die Feder- und Dämpferhärte zur tiefsten möglichen Stellung passt, sonst schlägt das Fahrwerk durch.
D.h auch wenn ich das Fahrwerk in die höchste Stellung drehe, fahre ich in der Härte für die tiefste Einstellung.
- Ggf. gibt es zwar billige GW-Fahrwerk, die trotzdem weicher sind. Die können dann aber leicht durchschlagen. Und ein durchschlagendes Fahrwerk auf einer Bodenwelle in einer Kurve ist echt gefährlich, weil sich in dem Moment das Fahrverhalten ändert und das Autos ausbrechen kann.
- Wenn das Fahrwerk nun sehr hart ist, obwohl man gar nicht so eine tiefe Einstellung fahren will (und diese Härte nicht bräuchte), dann verliert man völlig sinnlos eben viel von der Gutmütigkeit beim Überfahren von Bodenwellen genauso wie beim Fahren auf Nässe oder gar Schnee (schlechtere Traktion).
- Es gibt keine optimales Fahrwerk, sondern nur ein optimales Fahrwerk für einen bestimmten Einsatzzweck! Zuerst sollte man also überlegen, WO man mit dem Auto fährt. Ein extrem straffes Rundstreckenfahrwerk kann nicht auf eine holprigen Strasse im Hinterland funktionieren (und dort sogar gefährlich werden), während ein Fahrwerk für eine holprige Asphaltrallye auf eine popoglatten Rundstrecke zwar fahrbar ist, aber ganz sicher nicht optimal schnell sein kann. Und wer auch bei Nässe schnell sein will, der sollte es mit der Härte nicht übertreiben. Und wer auf sehr schlechten Strasse schnell unterwegs ist, braucht Federweg, und zwar sowohl beim Ein- als auch beim Ausfedern!
- Die Dämpferraten müssen zu den Federraten passen, sonst ist das Auto unter- oder überdämpft.
Starke Tieferlegung
nur mit Federn führt zwangsläufig zu einem unterdämpften Auto (härtere Federn bei gleich harten Dämpfern), was zum Aufschaukeln nach Bodenwellen führt. Denn die Dämpfer sind zu weich, um die Federn am Nachwippen zu hindern.
- Auch wenn es über adaptive Fahrwerke heute Einzug in die Serie hält: Die Aufgabe der Dämpferhärtenverstellung ist
nicht, das Auto härter oder komfortabler zu machen, denn das Resultat sind unterdämpfte oder überdämpfte Fahrwerke. In der Regel funktioniert auch bei den adaptiven Fahrwerken in Serienautos unter sportlichen Aspketen nur
eine der drei Dämpferhärte-Stufen, und dies ist in der Regel NICHT die härteste (die nur den Grenzbereich schmaler macht, aber das Auto nicht schneller), sondern die mittlere Stufe! Die Komfortstufe macht insofern vielleicht noch Sinn, als sie das Auto zwar schunkelig, aber immerhin weicher = komfortabler macht, was für das Langsamfahren ja noch Sinn machen mag.
- Die Aufgabe der Dämpfer ist es, die Federn am Nachwippen zu hindern und damit die Räder jederzeit am Boden zu halten, denn nur dann können sie Seitenführungskräfte übertragen!
- Die übliche Denke in "gewissen Kreisen" ist: Rennautos sind extrem tief und hart, also wird mein Auto schneller, wenn ich es auch extrem tief und hart mache.
Das allerdings ist ein Irrtum! Denn öffentliche Strassen sind recht weit von der optimalen Asphaltqualität des Hockenheim-Ringes entfernt. Und selbst in Hockenheim geht diese Rechnung so nicht immer auf.
Beispielhaft hier mal Werte aus einem alten Vergleichstest in "sport auto", die zeigen, dass ein tiefes, harte Fahrwerk nicht automatisch schneller macht, sondern ggf. sogar langsamer:
Aus einem Vergleichstest für Fahrwerke in sport auto, Heft 1/2002, auf einem BMW E46 325ti:
Getestet wurde auf dem topfebenen Hockenheim-Ring:
- AC Schnitzer Sportfahrwerk (am weichsten)
- Eibach Komplettfahrwerk (geringfügig straffer als das AC Schnitzer)
- KW-Gewindefahrwerk (in der von KW gewählten tiefen Einstellung, recht straff)
Hockenheim (kleiner Kurs, war glaube ich vor dem Umbau)
AC Schnitzer 1.21,9 min
Eibach 1.21,7 min
KW 1.22,1 min
Geschwindigkeit in Sachskurve / Opelkurve / Nordkurve /Ausgang Querspange in km/h
AC Schnitzer 81 / 98 / 115 / 78
Eibach 81 /100 / 117 / 79
KW 78 / 99 / 114 / 77
18-M-Slalom:
AC Schnitzer 61,2 km/h
Eibach 61,8 km/h
KW 60,9 km/h
Zitat zum KW-Fahrwerk aus dem Test:
"Die vom Werk für den Test gewählte tiefe Einstellung ist jedoch weder im Alltag noch auf der Rennstrecke optimal."
Fazit:
Das heißt nun keinesfalls, das Gewindefahrwerke grundsätzlich schlecht sind oder keine sportliche Verbesserung bringen könnten. Aber einfach nur "tief und hart" ist noch lange nicht automatisch gleich "sportlich und schnell". Im Extremfall wird es sogar richtig gefährlich!
Wer mehr wissen will, hier hatte wir Fahrwerk und Vorurteile dazu mal ausführlicher diskutiert:
LinkGrüße
ChrisH
Bearbeitet von: ChrisH am 30.03.2013 um 13:58:18