Ich kopier hier mal den Original Artikel aus der Zeitung "Die Zeit" hier rein.
Hier erst mal der
LINKAuf der Nordschleife des Nürburgrings, wo Niki Lauda einst seinen schweren Unfall hatte, dürfen heute Amateurfahrer Vollgas geben – für 14 Euro pro Runde. Nicht immer geht das glimpflich aus
Von Max Küng
Heute scheint es keinen Regen mehr zu geben. Obwohl: Man weiß das hier nie so richtig, die Eifel ist berühmt für ihr kapriolenhaftes Klima. Regen, Sonne, Nebel – und das alles gleichzeitig. Sämi zündet sich eine Muratti an, als er aus dem Wagen steigt. Er braucht jetzt dringend diese Zigarette. Sie tut ihm gut. Sämi ist noch ziemlich auf Adrenalin, verschwitzt, den Kopf rot vom Blut. »Es ist das Geilste, was es gibt«, sagt er. »Extrem geil, kannst du mir glauben!« Ein tiefer Zug.
Sämi, mit vollem Namen Samuel Rhyner, ist Metzger aus Zürich. Er fährt einen blauen Subaru Impreza WRX STi, einen Sportwagen, der aber auch für die ganze Familie taugt. Allrad. 265 PS. 6-Gang-Sportgetriebe. Von null auf hundert in 5,5 Sekunden. Spitze: knapp 250. Das erste Mal war Sämi vor 30 Jahren hier am Nürburgring. Seit sein Sohn Peter auch Auto fahren darf, kommt er regelmäßig mit ihm her. Und nicht als Zuschauer, sondern als Fahrer. Oder eher: Raser. Und eben: Es ist das Geilste, was es gibt. »Keine 50er-Schilder, keine 100er- Schilder, kein Gegenverkehr.« Nur Straße, Tempo, freie Fahrt. Für 14 Euro. Jede Runde.
Die Runde, ach. Die Geschichte dieser Runde, die so viele Kurven hat, beginnt bei Landrat Dr.Creutz, der einst in seiner Amtsstube in Adenau saß und den die Sorgen plagten. Fast 80 Jahre ist das her. Sein Landkreis darbte. Keiner dieser neuen Industriebetriebe wollte sich ansiedeln, und für die Landwirtschaft waren Boden und Klima auch nicht gerade ideal. Doch Dr. Creutz hatte eine Idee. Er hatte gelesen, dass diese neuartigen »Rundrennstrecken für Automobile« Massen lockten. Mussolini hatte es ja prophezeit: Wie Pilze würden sie aus dem Boden schießen in ganz Europa! In Monza hatte der Duce ein Tempodrom aus dem Boden stampfen lassen, um dort 1923 erstmals Rennwagen kreisen zu lassen. (Und um es den Franzosen zu zeigen, die für sich beanspruchten, die Autorennen erfunden zu haben, die so genannten Grand Prix.) Mussolinis Beispiel folgten die Spanier, die Belgier, die Briten. Zu Hunderttausenden strömten die Menschen herbei, um die tollkühnen Männer in ihren knatternden Kisten zu sehen. Das könnte doch, dachte Dr. Creutz, die Rettung für die Eifel sein. Ein Rundkurs. Und tatsächlich: Am 18. Juni 1927 wurde in der Eifel eine Rennstrecke eröffnet, die »erste Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke«, erbaut von 3000 Arbeitslosen in zwei Jahren Bauzeit, 15 Millionen Reichsmark teuer, ein Rundkurs, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hatte: 89 Links- und 84 Rechtskurven, Steigungen, Gefälle, Hochgeschwindigkeitspassagen, Steilkurven – alles da. 28 Kilometer lang war die Strecke damals, unterteilt in eine lange Nord- und eine kurze Südschleife. 28 Kilometer in die Eifelhügel hineingelegtes Tempoband, jede Kurve versehen mit einem schönen Namen: Antoniusbuche, Quiddelbacher Höhe, Schwalbenschwanz, Galgenkopf.
Der Nürburgring galt bald als die Rennstrecke schlechthin. Schön, schwierig, gefährlich – und als Überraschungsfaktor immer wieder das eigentümliche Eifel-Wetter. Der Ring forderte schnell seine ersten Opfer. Man schätzt, bis heute habe es 400 Tote gegeben. »Grüne Hölle« nannte Jackie Stewart die Piste. Nachdem Jochen Rindt das erste Mal den Ring abgefahren war, sagte er: »Ich hatte richtig Angst.«
Der Unfall von Niki Lauda machte den Nürburgring dann endgültig zum Mythos. Lauda hasste die Strecke, sprach sich auch lauthals gegen sie aus, zu gefährlich sei sie, nicht mehr zeitgemäß für die immer schneller werdenden Formel-1-Rennwagen. Nicht alle goutierten seine Ablehnung. Beim Rennen am 1. August 1976 waren Fans mit Anti-Lauda-Transparenten erschienen. Dann, bei Kilometer 10,6, Streckenabschnitt Bergwerk, da, wo 1928 der tschechische Bankier Cenek Junek tödlich verunglückt war, jagt Lauda nach einem Fahrfehler durch die Fangzäune. Ein Holzpfosten schlägt ihm den Helm vom Kopf und bricht ihm das Jochbein. Brennend schleudert der Ferrari auf die Fahrbahn zurück, wo zwei folgende Wagen in ihn hineinrasen.
Wundersamerweise überlebte Lauda. Doch dieser 1. August 1976 war das Ende für die Formel1 auf der Nordschleife. Ein neuer Hochgeschwindigkeitskurs wurde gebaut, auf dem Michael Schumacher und die anderen ihre öden Runden abspulen – das nächste Mal an diesem Wochenende. Die Nordschleife aber – der Mount Everest der Rennstrecken, wie man sie auch nennt – blieb offen für jedermann mit Führerschein und normalem, straßenzugelassenen Auto, für Leute wie Sämi eben, die ihre 14 Euro Eintritt bezahlen für eine Fahrt auf der schnellsten Einbahnstraße der Welt.
Sie kommen mit Kleinwagen, Rostlauben, hochgezüchteten Serienautos. Man sieht Mittelklassewagen mit Schwiegereltern hintendrin, gemütlich durch die Kurven schaukelnd, Väter mit Kleinkindern im Kindersitz, viele, viele Motorräder. Und sonntags auch mit Rentnern voll besetzte Reisebusse.
Plötzlich ist es still. Wieder mal einer abgeflogen, Strecke gesperrt
Jetzt, an diesem Tag, zu dieser Stunde, als Sämi seine Zigarette raucht, ist die Strecke allerdings geschlossen, für einen Augenblick. Wieder mal einer abgeflogen, ausgerutscht, sich verschätzt. Also stehen alle auf dem Parkplatz bei der Einfahrt und bestaunen die Autos der anderen. Sie diskutieren über Pneus und Hubraum, über Schalensitze und Lackierungen, über Stoßdämpfer und Turbolader. Irgendwann verlässt ein Krankenwagen das Gelände. Die Leute steigen wieder in ihre Wagen. Sämi sagt: »Komm, jetzt fahren wir ’ne Runde.« Sein Subaru macht mächtig Dampf. »Ist geil jetzt, viel Grip!«
Sämi hält einen roten BMW hinter sich. Irgendwann aber muss er zwei Porsches überholen lassen, und dann zieht auch noch der BMW im Windschatten der Porsches an ihm vorbei. Aber Sämi bleibt dran. Volle Pulle runter in die Fuchsröhre, sechster Gang, erst unten bremsen, nicht zu stark, ein Tippen aufs Pedal, Tempo mitnehmen, dann hoch zum Adenauer Forst, fünfter, vierter, dritter Gang, weit von außen anfahren und sehr schnell passieren. Eine heikle Stelle, diese Kurvenkombination Adenauer Forst. Hier scheitern die meisten schon am Anfang: Kommen zu schnell rein und drehen sich weg. Sämi aber kennt die Stelle. Quietschend jagt er seinen Subaru um die Ecken. Wenn es Zeit zum Schalten ist, piepst der Wagen. Wie im Videospiel. Breidscheid, hin zum Bergwerk, wo Lauda fast verbrannte, Kesselchen hoch, sechster Gang, Klostertal, fünfter Gang, dann direkt in den dritten Gang, auf den Baum hinter der Kurve zuhalten und ins Carracciola-Karussell mit seiner Steilkurve, in der es einem das Hirn an die rechte Seite der Schädeldecke drückt. Rausbeschleunigen, hinauf in die Hohe Acht, vierter Gang, Richtung Wippermann. Und dort passiert es.
Der BMW vorne setzt zum Überholen eines der beiden Porsches an. Wir kleben hintendran. Da gerät der Porsche rechts neben die Piste. Dreht sich. Schmiert ab nach links. Schlägt heftig in die Leitplanke. Teile fliegen rum. Erde wirbelt auf. Es passiert sehr viel in sehr kurzer Zeit. Der Porsche bleibt als Totalschaden links liegen. Was für ein Glück, dass er nicht auf die Strecke zurückschleudert wie damals Laudas Wagen! Wir ziehen vorbei und halten hinter der Kurve. Hinter uns noch ein paar Wagen. Jemand ruft, dass »alles okay« sei. Kein Personenschaden. »Alles okay.« Sämi sagt, das passiere halt, wenn man nicht fahren kann. Es ist heiß, irgendwie. Hoffentlich bummelt Sämi jetzt ein bisschen. Aber Sämi gibt Stoff, schließlich ist die Runde bezahlt. Außerdem hat er nicht mehr den BMW vor der Haube, nicht mehr die Porsches, sondern endlich freie Fahrt.
Eigentlich ein schöner Wald, in den der Landrat Creutz damals seine Strecke bauen ließ. Es riecht nach frisch geschlagenem Holz. Der Specht hämmert, die Amsel wuselt, dicht an dicht stehen die Tannen am steilen Hang, und anstrengend ist der Aufstieg zum Adenauer Forst. Steil geht der Weg hoch. Am Wegesrand liegen gefällte Bäume. Und dann hört man es wieder, das Jaulen, das Quietschen. Es wird immer lauter. Bis man dann oben auf der Höhe ist, am Zaun, an der Strecke. Der Adenauer Forst ist eine der anspruchsvollsten Stellen. Vor allem Neulinge unterschätzen sie. Das freut so manchen, denn es gibt was zu sehen. Deshalb nehmen die Schaulustigen den Fußmarsch ganz gerne auf sich. Sehr bald schon heult ein Wagen heran. Und man kann bereits von weitem hören: Er kommt zu schnell. Ein abgetakelter Audi 200. Quietschend dreht er sich aus der Kurve hinaus in den Kies. Die Zuschauer springen hoch und jubeln, als hätte ihr Fußballclub ein Tor geschossen. Der Audi kommt zum Stehen. Die Nerven des Fahrers erholen sich, und er lässt den Kies spritzen, als er wieder davonbraust. Schon kommt ein schwarzer Toyota Supra – mit dem Heck voran.
Ein bisschen weiter westlich, bei der Fuchsröhre, wo die Wagen mit mehr als 200 Sachen vorbeirasen, da steht Fabian. Dieses Jahr hat er mit seinem Motorrad schon 120 Runden abgespult. »Ich fahre nur noch hier, nicht mehr auf der Straße. Auf der Straße kannst du nicht schnell fahren. Außerdem ist die Straße viel zu gefährlich. Aber hier? Hier gibt es eigentlich nur zwei Dinge, vor denen ich Angst habe: Öl und Kühlwasser. Öl auf der Fahrbahn kannst du sehen. Kühlwasser nicht. Aber man kennt die Stellen. Nach dem Karussell etwa, wo die überhitzten Motoren nach der Steigung gerne überkochen, da liegt Kühlwasser.«
»Und was passiert dann?«
»Was passiert, wenn man mit dem Motorrad auf Kühlwasser gerät?«
Fabian lässt die Frage unbeantwortet. Es ist still. Kein Heulen. Kein Quietschen. Kein Knattern. Die Natur hat wieder den Dirigentenstab in der Hand, Singvögel, Wind in den Tannen. Ein Idyll. Man denkt: Eine wirklich wunderbare Landschaft, die Eifel. Aber Ruhe am Ring ist kein gutes Zeichen. Wenn es still wird, heißt das: Wieder Ring gesperrt. Was dann passiert: Erst mal nichts, ehe ein Sicherheitsfahrzeug über die Piste fährt oder ein Krankenwagen und dann ein gelber Abschleppwagen. Wie jetzt: ein Krankenwagen, dann ein Abschleppwagen, hintendrauf ein lädiertes Motorrad. Dann wieder eine Weile Ruhe, und schließlich, wenn die Piste gefegt worden ist, geht es von vorne los. Ein Säuseln, ein Rotzen, ein Quietschen. Fabian sagt: »Dieses Jahr ist zum Glück noch keiner gestorben. Glaube ich.«
Fremden gegenüber ist man am Nürburgring immer ein wenig misstrauisch. Will man eine Reportage schreiben, benötigt man eine von der Nürburgring GmbH ausgestellte Genehmigung, welche einem aber das Fotografieren oder Filmen von »Unfällen jeglicher Art« untersagt. Außerdem: »Der Nürburgring (insbesondere die Touristenfahrten auf der Nordschleife) wird entsprechend positiv in dem Bericht dargestellt.« Wie viele Freizeitfahrer pro Jahr auf dem Nürburgring ihr Leben lassen, erfährt man bei der GmbH schon gar nicht.
Auch Matthias ist kritisch. Er werkelt auf einem Parkplatz vor dem Restaurant Grüne Hölle mit zwei Freunden an einem Golf rum. Der Golf ist orange, und alle nennen ihn bloß Jägermeister-Golf, weil er die großen Werbekleber des Kräuterlikörherstellers trägt – wie die Renn- und Rallyewagen in den siebziger Jahren. »Wie soll denn der Artikel heißen?«, fragt Matthias, Filialleiter eines E-Plus-Handyladens in der Stuttgarter Königstraße, »Die Idioten vom Ring?« Sie wissen: Auf Außenstehende muss ihr Treiben behämmert wirken. Und? Und?! Wer nicht selber fährt, den Kick nicht erfährt, der kann auch nicht verstehen, sagen sie. Der alte Golf (Preis der Rohkarosse: 25 Euro) wurde ein wenig modifiziert. Anderer Motor (von einem VW Corrado), anderes Getriebe (von einem VW Scirocco), dazu stärkere Bremsen rein, Rückbank raus, denn so eine Rückbank hat ja nur Gewicht und keinen Sinn, überhaupt alles weg, was keinen Sinn macht, Stoßstangen etwa. Dann Überrollkäfig reingebaut, zwei Schalensitze mit Hosenträgergurten, ein griffiges Lenkrad. Mehr braucht man nicht.
Endlich einmal die Porsche-Trottel überholen, die Ferrari-Fans auslachen
Die Jungs mit dem Jägermeister-Golf sind berüchtigt für ihre Schnelligkeit, natürlich haben sie eine eigene Homepage:
www.jaegermeistergolf.de. Ein gutes Auto? »Das«, sagen sie, »nützt dir hier einen Scheiß, wenn du nicht fahren kannst.« Und die meisten mit den dicken Karren können nicht fahren. So haben sie nur ein müdes Lächeln für die, die mit den Ferraris und den Lamborghinis kommen und sich dann nicht trauen, auf dem Ring zu fahren. »Ich würd ja auch ungern eine Eigentumswohnung gegen die Wand fahren«, sagt Matthias. Wenn er seinen Jägermeister-Golf zerlegt, kaufen sich die Freunde eine neue alte Kiste für ein paar Mark, schrauben rum und machen sie schnell. Dann überholen sie die Porsche-Trottel und lachen über die Briten ab, die mit Ferrari-Polohemden neben Ferraris Hof halten, die sie nicht beherrschen. Das feine Leben des einfachen Mannes in der kleinen Kiste.
Man sieht hier Autos mit Klebern hintendrauf: »Lieber Nürburgring als Ehering«. Für manche ist das hier eine Sache für die Ewigkeit.