Mahlzeit!
Unser großartiger Wolpi hat es vorgemacht: Endlich mal alles übers Fahrwerk auf einen Punkt gebracht mit dem Ziel dieser dauernde Fragerei nach "Welche Federn .... blabla..." endlich mal ein Ende zu setzen!? :)
Ich möchte daher auch meinen Teil dazu beitragen und habe etwas mehr allgemeines über die Fahrwerktechnik aufgeschrieben mit ein paar Beispielen des e36. Habe versucht mich (relativ) kurz zu fassen, wenn Änderungen und Ergänzungen erwünscht sind, immer her damit :)
*Fahrwerkstechnik*
Einleitung:Streng genommen besteht das Fahrwerk eines Kraftfahrzeuges aus weit mehr Komponenten als weitgehends angenommen. Spricht man im allgemeinen vom "Fahrwerk" oder vom "Fahrwerkstuning", dann werden lediglich die Elemente "Feder" und "Dämpfer" gemeint. Tatsächlich gehören zum Fahrwerk nebst Feder Und Dämpfer noch die Komponenten:
-Aufbau, also die Karosserie
-Radaufhängung
-Lenkung
-Bremsen
-und die Reifen mit Felgen
Da von den genannten Komponenten nur wenige eine Individualisierung erlauben bzw. es nur bei einigen Sinn macht sie zu modifizieren, werde ich auch hier nur auf diese vertiefend eingehen und am Beispiel des Fahrwerks des e36 von BMW erläutern.
Fahrwerkskomponenten:Ferdung und Dämpfung - Warum hat ein Fahrzeug überhaupt eine Federung? Durch unebene Fahrbahnen müssen Räder neben ihrer Fähigkeit sich zu drehen zu können und event. lenkbar zu sein, auch Bewegungen senkrecht zur Fahrbahn vollführen können. Je nach Höhe der Unebenheit, Geschwindigkeit des Fahrzeuges und Masse der zu bewegenden Teile treten dabei unterschiedlich große Kräfte auf, die nicht selten ein Vielfaches der Erdbeschleunigung erreichen. Die Federn setzen diese Bewegung in Schwingungen um und schützen so den Aufbau und die Insassen vor großen Stössen und Erschütterungen. Die Dämpfer absorbieren diese Schwingungen und wandeln sie in Reibungs- und Wärmeenergie um.
Die Federung und Dämpfung sind das wesentliche Maß für Fahrkomfort, Fahrsicherheit und Kurvenverhalten.
Die letzten beiden Punkte sind entscheidend und werden dadurch gewährleistet, das die Räder mit Hilfe des Fahrwerks immer maximale Haftung zur Fahrbahn haben.
Die Reifen übernehmen auch noch eine wichtige Rolle bei der Federung, u.a. in Fahrzeug-Querrichtung, darauf möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen.
Ein wichtiger Punkt den ich aber unbedingt erleutern möchte ist die Rolle der "ungefederten Masse":
Dazu zählen Reifen, Felgen, Bremsenteile, sowie zu einem großen Teile alle voll- und halbbeweglichen Teile der Radaufhängung wie Radlager, Querlenker, Achschenkel, Spurstange usw. Eben die Teile, die nicht vollständig durch die Federn vom Fahrzeugaufbau entkoppelt werden.
Das Prinzip der ungefederten Masse: Überrollt ein Fahrzeug mit hoher Geschwindigeit eine Bodenwelle, so bleibt der Aufbau infolge seiner großen Masse und Trägheit zunächst in Ruhe. Das Rad hat im Vergleich zum Aufbau eine sehr geringe Masse und wird daher gegen die Federkraft nach oben bewegt und die Feder wird zusammengedrückt. Diese Federkraft hat das bestreben, den Aufbau ebenfalls nach oben zu drücken. Ist die Bodenwelle vorbei, so wird das Rad duch die vorgespannte Feder wieder auf die Fahrbahn gedrückt und der Aufbau wird entlastet. Auf den Aufabu wirkt nur die der Unebenheit entsprechende Entlastung der Feder. Er bleibt praktisch in Ruhe und das Rad immer auf dem Boden.
Ist die vom Rad ausgehende Kraft größer als die Vorspannung der Feder, so verliert das Rad für kurze Zeit den Bodenkontakt und damit die Haftung, da die Federkraft nicht ausreicht, um das nach oben beschleunigte Rad wieder schnell genug auf die Fahrbahn zurück zu drücken. Daher sollten ungefederte Massen so klein wie möglich sein, grad bei geringen Federraten, also sehr "weichen Fahrwerken".
Stabilisator - Der Stabi stellt eine Verbindung der beiden Räder einer Achse dar. Eine Komponente der Radaufhängung übt beim Ein- oder Ausfedern über einen Hebel ein Drehmoment auf den Stabi aus, der dieses wiederrum in gleicher Weise auf die andere Achsseite abgibt. Beim Anheben eines Rads z.B. wird über die Verdrehung des Stabis das andere Rad auch angehoben. Beim Kurvenfahren wird so dem übermässigen Wanken (Kurvenneigung, oder auch "Rollen" genannt) entgegen gewirkt. Daher auch der Name der Austausch-Stabi-Sets von Eibach: "Anti-Roll-Kit". Beim gleichmässigen Einfedern beider Räder einer Achse hat der Stabi überings keine Funktion. Er dient lediglich zur Kompensation von Differenzen.
Querlenker:Der Querlenker führt die Radaufnahme auf einer Kreisbahn quer zur Fahrzeugrichtung beim Ein- und Ausfedern.
Längslenker:Der Längslenker führt die Radaufnahme auf einer Kreisbahn längs der Fahrzeugrichtung beim Ein- und Ausfedern.
Die verschiedenen Kombinationen von Quer- und Längslenkern erlauben es, die Stellung des Rads beim Ein- und Ausfedern relativ zum Aufbau und zur Fahrbahn zu beeinflussen.
Das Fahrwerk des E36:Einzelradaufhängung mit Querlenkern sowie "McPherson" Federbein an der Vorderachse. D.h. die Feder mit nahezu linearer Kennlinie (konst. Wicklungsradius) ist um den Dämfer herum angeordnet. Der Stoßdämpfer übernimmt dabei eine radführende Funktion.
An der Hinterachse ist das Rad durch eine Kombination aus einem Längslenker und einem Doppelquerlenker geführt. Dies nennt man "Raumlenkerachse" und wurde von BMW erstmals beim 8er verbaut. Feder und Dämpfer sind getrennt voneinander angeordnet. Die tonnenförmige (progressive) Feder sitzt zwischem dem Aufbau und dem oberen Querlenker. Der Dämfer hat an der Hinterachse keine radführende Funktion und ist an beiden Enden schwingend gelagert.
Fahrwerksgrössen und Einflüsse:Als Größen der Fahrdynamik werden sowohl die Stellung der Räder zueinander (z.B. Spurweite) als auch die relative Position der Räder zur Fahrbahn (z.B. Sturz) beschrieben.
Radstand - Beschreibt den Abstand der beiden Achsen in Längsrichtung zueinander. Das Maß hat Auswirkungen auf den Komfort, das Handling und den Wendekreis.
Spurweite - Beschreibt den Abstand der Räder einer Achse zueinander, gemessen an der Radaufstands-Mittelpunkten. Die Spurweite an Vorder- und Hinterachse können unterschiedlich sein. (extreme Bsp. sind die Citroen der 70er Jahre, teilweise bis zu 200mm hinten weniger Spur als vorne)
Die Beeinflussung der Spurweite (z.B. durch Änderung der Einpresstiefe der Felgen) hat unterschiedliche Auswirkungen auf gelenkte und nicht gelenkte Achsen, siehe weiterunten -> Lenkrollhalbmesser.)
Spurdifferenzwinkel - Beschreibt den Winkel, um den das kurveninnere Rad stärker eingeschlagen ist als das kurvenäussere.
Spreizung - Ist der Winkel zwischen der schräg gestellten Lenkachse und einer senkrechten zur Fahrbahn quer zur Fahrzeuglängsachse.
Sturz - Beschreibt den Winkel der Radebene zur einer im Aufstandspunkt des Rades errichteten Senkrechten quer zur Fahrzeugslängsachse.
Spur - Die Spur beschreibt die Längendifferenz, um die die beiden Räder einer Achse vorne weiter auseinander stehen als hinten. Sind die Räder vorne weiter auseinander, also die Differenz positiv, so spricht man von "Positiver Spur", umgekehrt von "Negativer Spur" oder auch "Nachspur".
Lenkrollhalbmesser - Spreizung und Sturz bilden den Lenkrollhalbmesser. Dieses Maß ist nur für die gelenkte Achse relevant. Er wird zwischen der Mitte der Radaufstandsfläche und dem Durchstoßpunkt der verlängerten Lenkdrehachse durch die Fahrbahn gemessen. Es gibt positiven, negativen und neutralen LRH. Erstrebenswert ist immer ein negativer LRH. Dieser wird ermöglicht durch tiefe Radschüsseln (hohe ET) und kompakte Bremsanlagen. Treten einmal unterschiedliche Bremskräfte an beiden Rädern der gelenkten Achse auf, so wird das Rad beim negativen LRH stärker durch auftretendes Drehmoment nach innen geschwenkt. Dadurch entsteht ein selbstständiges Gegenlenken, welches genau der Kraft entgegen wirkt, die das Fahrzeug zu der Seite des stärker gebremsten Rades (z.B. Reifenplatzer) zieht. Somit stabilisiert sich das Fahrzeug selbsttätig.
Werden Felgen mit niederiger ET verbaut, so kann der Lenkrollhalbmesser neutral oder gar positiv werden, was zur Folge hat, das das Fahrzeug noch stärker auf die Seite zieht, auf die es z.B. durch ein blockierendes Rad gezwungen wird. Auch im normalen Fahrbetrieb verliert so ein modifiziertes Fahrzeug sehr viel an spurtreue und neutralem Geradeauslauf.
Man sollte bei Felgen mit kleiner ET oder der Verwendung von Spurplatten immer abwägen zwischen Fahrverhalten und Optik!
Nachlauf - Der Nachlauf entsteht durch eine Schrägstellung der Lenkdrehachse bzw. der Achsschenkelbolzens in Richtung der Fahrzeuglängsachse gegenüber einer Senkrechten zu Fahrbahn. Auch diese Größe ist nur für die gelenkte Achse entscheident. Fahrzeuge mit Heckantrieb haben immer positiven Nachlauf, d.h. der obere Punkt der Lenkdrehachse liegt in Fahrzeuglängsachse weiter hinten als der untere Punkt. Beim e36 werden diese beiden Punkte gebildet durch: Das Radführungsgelenk im Querlenker unten und oben durch das Domlager. Ein positiver Nachlauf ist maßgeblich für einen guten Geradeauslauf und Spurtreue.
Änderungen am Fahrwerk und Auswirkungen:Jedes Rad bewegt sich auf einer fest definierten Achse und hat auf dieser gewisse Freiheitsgrade, also ein Bestimmtes Maß, in dem es sich bewegen kann. Werden diese Achsen modifiziert, die Freiheitsgrade eingeschrängt oder die Nulllagen geändert, so hat das immer Auswirkungen auf die Fahrdynamik.
Ich möchte hier kurz auf die gängigsten Umbauten und deren Auswirkungen am e36 eingehen.
-Ändern der Federn: Das Fahrzeugniveau wird abgesenkt, dadurch verlagert sich der Schwerpunkt, das sich positiv auf das Kurvenverhalten auswirkt. Allerdings müssen dabei auch die Freiheitsgrade beschrängt werden, daher haben Tieferlegungsfedern eine hohere Federrate. Das Rad erhält ausserdem eine andere Ruhelage, die es sonst nur kurzzeitig beim Einfedern hätte. Die Folge ist oftmals eine schwer zu korrigierende Radstellung in Form eines zu großen negativen Surzes.
-Einbau einer geänderten Feder/Dämfereinheit: Gleicher Effekt wie bei reiner Federänderung, allerdings sind hierbei Dämfungsrate und Federkennlinie aufeinander abgestimmt. Ist ab einer Tieferlegung >40mm auf jeden Fall die bessere Wahl als nur ein Federntausch.
-Querlenker: Durch den Einbau der hinteren Querlenkeraufnahmen des M3 3.0 an der Vorderachse wird der untere Aufnahmepunkt der Lenkdrehachse nach vorne verlagert. Dadurch erhöht sich der Radstand und der Nachlauf, welches sich positiv auf die Spurtreue auswirkt. Die Lenkkräfte erhöhen sich minimal.
-Domlager Vorderachse: Durch den Einbau der Domlager des M3 3.0 oder 3.2 wandert der obere Aufnahmepunkt der Lenkdrehachse nach hinten. Dies hat eine Erhöhung des Nachlaufes zur Folge, Erhöhung der Lenkkräfte, keine Verlängerung der Radstandes. Es gibt Motorsport Domlager, mit dessen Hilfe man die Spreizung (und damit indirekt den Sturz) und den Nachlauf in gewissem Maße und stufenlos verstellen kann. Ich würde von dieser "Spielerei" absehen, denn diese Teile sind für das was sie bieten schlicht zu teuer und was man "einstellen" kann, kann man auch "verstellen"!
-Reifen: Ein breiter Reifen erhöht immer die Gefahr des Aquaplanings. Ausserdem ist er empfindlicher bei Spurrillen und Fahrbahnunegenheiten. Bei Trockenheit erhöht er aber wiederrum nicht unerheblich die Haftung. Kurvenfahrten und Bremsungen wichtig.
Ein niederiger Querschnitt mindert den Fahrkomfort und die Absorbtionsmöglichkeiten der Schwingungen in Fahrzeugquerachse. Desweiteren zieht ein breiter Reifen immer die Verwendung einer breiteren Felge mit sich, welches wiederrum die ungefederte Masse erhöht.
-Felgen: Geringere ET verändert den Lenkrollhalbmesser und hat Auswirkungen auf die Spurtreue und das Verhalten bei zwei unterschiedlich verzögerten Rädern.
Nach der Fahrwerksänderung: Es sollten IMMER die Achswerte von einer Werkstatt überprüft und ggf. eingestellt werden. Aber was tun wenn die Achswerte "daneben" stehen!? Welche Einstellmöglichkeiten bietet die Serienteile des e36. Normalerweise sind folgende Einstellmöglichkeiten vorgesehen: An der Vorderachse: Nur die Spur, an der Hinterachse: Die Spur (aber nur in sehr geringem Maße) und der Sturz.
Es gibt von BMW die sog. Sturzkorrekturschraube für die VA. Diese hat einen dünneren Schaft als die orig. und wird zwischen Achsschenkel und Federbein eingebaut. Damit erreicht man ein leichtes Spiel an diesem Punkt und kann somit den Sturz ebenfalls an der VA einstellen.
Ich hoffe ich konnte die eine oder andere immer wiederkehrende Frage beantworten.
Wenn noch Fragen sind, immer raus damit! :)
Tschö,
Hobbyschrauber
Bearbeitet von - Hobbyschrauber am 28/10/2003 22:18:43
Bearbeitet von: Pug am 26.02.2014 um 13:48:35